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Die chinesische Medizin als Wissenschaft vom Menschen, von seinem Verhältnis zur Natur und von den Kräften, die sein "inneres Milieu" im Gleichgewicht halten, hat ihre Wurzeln im ersten Jahrtausend vor Christus. Seither erlebt sie eine in dieser Form auf der Welt höchstens noch mit dem Ayurveda vergleichbare ungebrochene und kontinuierliche Weiterentwicklung, die einen enormen Schatz von angesammelten Erfahrungen hervorgebracht hat und in mehreren zehntausend medizinischen Schriften niedergelegt worden ist.

 

Im Unterschied zur westlichen Medizin, die von "revolutionären" Erneuerungen lebt und bei diesen Gelegenheiten allen "alten Ballast" über Bord wirft, haben in China neue Erfahrungen zwar zur allmählichen Veränderung, in der Regel aber nicht zur Aufgabe alter Konzepte geführt. So sind auch therapeutische Erfahrungen von vor zweitausend Jahren für den Praktiker der chinesischen Medizin immer noch verwertbar. In neuerer Zeit sind die ursprünglich sehr vielfältigen Ansätze vereinheitlicht und in ein universitär lehrbares System gebracht worden, das im Westen allgemein als Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) übersetzt wird. Einige wesentliche Konzepte dieses Medizinsystems sollen im Folgenden dargestellt werden.

 
1. Das Dao

Dieser Begriff bezeichnet den Weg der Natur mit ihren unergründlichen Gesetzmäßigkeiten und beinhaltet die Vorstellung, daß in unserer Umwelt kein chaotisches Durcheinander, sondern eine höhere Ordnung herrscht. Der Mensch steht dabei nicht über dieser Ordnung sondern ist ein kleiner Teil von ihr. Wenn er ihr zuwiderhandelt, führt das zu Disharmonie und Leiden. Wer sich in seinem Leben am Dao orientiert, der paßt sich in diese natürliche Ordnung ein und "schwimmt mit dem Strom". Daher ist das wichtigste Prinzip des Daoismus das wu wei, was soviel wie "nicht (unnötig) eingreifen" bedeutet. Eine daostisch orientierte Medizin begreift Krankheit als Abweichen von dem natürlichen Weg und Heilung dementsprechend als Neuorientierung, die am besten durch Entfaltung innerer Kräfte und mit möglichst geringen und subtilen Einwirkungen von außen erfolgen sollte. Daß eine derartige Medizin gerade in unserer Zeit sehr wirksam sein kann, bestätigt die moderne Gesundheitsforschung.


 
2. Das Qi

Unter diesem Begriff werden alle Wirkkräfte in der Natur und im Menschen zusammengefaßt und zwar sowohl lebenserhaltende, als auch krankmachende Einflüsse. Das Qi hat einen beweglichen, "fließenden" Charakter. Es ist zwar nicht sicht- oder meßbar, wohl aber in seiner Bewegung und seinen Auswirkungen erspürbar. Im Menschen wird das Vorhandensein und der Fluß von Qi häufig als dumpfes, warmes, kribbeliges Gefühl z.B. beim Setzen einer Akupunkturnadel oder beim intensiven Praktizieren von Qi Gong und Tai Ji Quan wahrgenommen. Die TCM stellt fest, daß das Qi der Vorstellung folgt und beschreibt damit die Auswirkung geistig-seelischer Prozesse auf unsere Körperfunktionen. Diese Funktionen sind dann im optimalen Gleichgewicht, wenn das Qi im Menschen ungehindert in die richtigen Richtungen fließt. Dies geschieht vor allem in bestimmten Kanälen oder "Leitbahnen" und kann durch Nadelung bestimmter Punkte im Bereich dieser Bahnen aber auch z.B. durch Qi Gong Übungen beeinflußt werden.


 

3. Yin und Yang

Mit diesen Begriffen wird die Welt als die Summe unendlich vieler Polaritäten beschrieben, die sich zueinander verhalten wie Sonne (Yang) und Schatten (Yin), wie Hitze und Kälte oder wie Tag und Nacht. Das heißt, daß alle Extreme nur in Beziehung zu ihrem Gegenteil existieren und daß sich Leben als ständiger Wechsel bzw. als Schwingung zwischen diesen Polen abspielt. Jede Bevorzugung einer Seite des Schwingungsspektrums und jede Schwächung des anderen Pols führt zu Störungen dieses dynamischen Gleichgewichts und im Menschen unweigerlich zu Krankheiten. Dies geschieht zum Beispiel dann, wenn man die "Nacht zum Tag" macht oder seine Aktivitäten auf Kosten von Ruhe und Erholung forciert. Auch die krankmachenden Einflüsse einer einseitigen Ernährung lassen sich so erklären.

 

4. Die inneren "Organe" der TCM

Die Begriffe des Gleichgewichts und der Harmonie spielen in der TCM, wie schon in der Beschreibung des Konzeptes von Yin und Yang deutlich wird, eine entscheidende Rolle. Dies gilt auch für die Regulation des "inneren Mileus" des Menschen und seine Beziehungen zur Außenwelt. Die Funktionen, die in diesen Bereichen für Gleichgewicht und Harmonie sorgen, werden von der TCM den inneren "Organen" zugeschrieben. Sie ernähren den Organismus, scheiden Abfälle aus, speichern Reserven, dynamisieren den Qi-Fluß, nehmen Kontakt mit der Außenwelt auf und halten schädigende äußere Einflüsse fern.

Diese Zuschreibung beruht aber nicht auf anatomischen und physiologischen Untersuchungen, sondern auf Intuition und Erspüren der eigenen Leibesempfindungen. Insbesondere schreibt die TCM den "Organen" auch regulierende Wirkungen auf den Gefühlshaushalt zu .Deshalb sind diese "Organe" nur dem Namen aber nicht der Funktion nach mit den Organen der westlichen Anatomie identisch, was bei unaufgekärten Patienten oft zur Verwirrung führt. So würde eine Störung der Leber sich in der westlichen Medizin z.B. als Hepatitis äußern, während in der TCM Symptome wie Schwindel, Kopfschmerzen und eine zornige Gemütsverfassung in der Regel als "Leberstörung" gedeutet werden. Am ehesten läßt sich diese Art von "Organlehre" mit den Aussagen vergleichen, die in unserem Volksmund über die inneren Organe gemacht werden, z.B. daß Angst an die Nieren geht oder daß einem vor Wut die Galle überläuft.

 

5. Die Manifestationsmusterdiagnostik

Wenn ein schulmedizinisch orientierter Arzt bei einem Patienten eine Krankheit, z.B. eine Schlafstörung, diagnostiziert (und eine dringend behandlungsbedürftige Organstörung ausgeschlossen) hat, folgt für ihn daraus in der Regel unmittelbar die Verschreibung eines Medikaments (in diesem Fall eines Schlafmittels) oder eine andere Verordnung. Für den TCM-Arzt hingegen beginnt an diesem Punkt erst die eigentliche Arbeit. Er betreibt eine ganzheitliche Diagnostik, d.h. er erhebt auch Befunde, die mit den Klagen des Patienten nicht direkt in Beziehung stehen und für sich vielfach auch gar keinen Krankheitswert besitzen. Das können zum Beispiel ein bitterer Mundgeschmack, eine ärgerlich gereizte Stimmung und ein dicker, gelber Zungenbelag sein. Erst diese begleitenden Symptome ergeben mit den Hauptbeschwerden zusammen ein Symptommuster, das den Patienten in seiner Ganzheitlichkeit abbildet.

So läßt sich zum Beispiel die Diagnose Schlafstörung in ein knappes Dutzend "Manifestationsmuster" weiter differenzieren. Da jedes dieser Muster auf spezifische Art und Weise behandelt wird, ermöglicht die TCM-Diagnostik, daß Therapien sehr genau und individuell auf den einzelnen Menschen zugeschnitten werden können und quasi wie ein Schlüssel ins Schloß passen. Auch die Art der Therapie wird oft auf diese Weise bestimmt, d.h. es läßt sich voraussagen, ob Akupunktur, Akupressur, Chinesische Arzneitherapie, Chinesische Ernährungstherapie, Qi Gong und Tai Ji Quan oder eventuell eine Kombination dieser Methoden die besten Heilungsaussichten bietet. Diese subtile Vorgehensweise unterscheidet sich oft deutlich von den besonders bei funktionellen Störungen eher wenig differenzierten Behandlungsmethoden der Schulmedizin. Diese können zwar sehr starke, oft aber auch ungezielte Wirkungen hervorbringen und dadurch häufig zu unerwünschten Begleiterscheinungen führen.

 
6. Ein Beispiel

Eine 65jährige Frau leidet seit mehreren Jahren unter Stuhlverstopfung. Der Stuhl ist nicht hart aber sie hat das Gefühl, als ob "es im Darm nicht weitergeht". Es ist also offensichtlich der freie Fluß im Dickdarm gestört, was auf eine Stagnation des Qi in diesem Organ hindeutet. Bei einer eingehenden Befragung der Patientin fällt darüber hinaus ein ausgeprägtes inneres Kältegefühl und ein allgemeiner Mangel an Aktivität und Motivation auf. Diese Zeichen sprechen für eine Leere der Yang-Kräfte im Organismus. Ein weiteres auffälliges Symptom, häufiges und auch nächtliches Wasserlassen, deutet auf die Nieren als das Organ hin, in dem sich die Yang-Leere vor allem manifestiert. Die schulmedizinische Diagnose Stuhlverstopfung wird also bei dieser Patientin weiter differenziert in das Manifestationsmuster "Nieren-Yang-Leere mit Qi-Stagnation im Dickdarm".

Nach Absprache mit der Patientin wird eine Serie wöchentlicher Akupunkturbehandlungen eingeleitet mit dem Ziel, das Qi im Dickdarm zu bewegen. Außerdem wird noch Moxakraut auf einer Ingwerscheibe über Punkten der Nierenleitbahn abgebrannt. Dadurch wird den Nieren Wärme und damit Yang zugeführt. In Bezug auf die Ernährung wird der Patientin empfohlen, vermehrt das Nieren-Yang stärkende Nahrungsmittel wie Lamm, Fenchel, Hafer, Walnuß und Kirschen zu verzehren. Nach 2 Monaten haben sich die Symptome der Patientin gebessert aber der Stuhlgang ist noch nicht regelmäßig und unbehindert. Daraufhin erhält die Patientin eine Rezeptur aus Qi-bewegenden und nierenstärkenden chinesischen Heilkräutern in Pulverform. Die Akupunkturbehandlungen werden dafür nur noch alle zwei Wochen durchgeführt. Nach weiteren vier Monaten ist ihr Stuhlgang weitgehend normalisiert und sie verspürt deutlich mehr Kraft und Motivation für ihre Aktivitäten.

 



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