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Der Rücken aus Sicht der Chinesischen Medizin

Ein gesunder Rücken ist für die Chinesische Medizin abhängig von einem ungestörten dynamischen Gleichgewicht zwischen den polaren Kräften Yin und Yang, einer ausreichend starken und frei fließenden Lebenskraft Qi, die den Organismus vor schädigenden äußeren Einflüssen zu schützen vermag und einem harmonischen Zusammenspiel der inneren Organ-Funktionskreise (Zangfu), die den Organismus ernähren und für sein seelisches und körperliches Gleichgewicht sorgen.

1. Die Organ-Funktionskreise (Zangfu), Qi, Blut, Essenz, Yin und Yang

Für die Chinesische Medizin ist der Rücken auf vielfältige, ganzheitliche Weise mit den übrigen Organismus verflochten. Wer seinen Rücken gesund hält, trägt daher wesentlich zur Gesunderhaltung von Körper, Geist und Seele bei. Genauso gilt umgekehrt, dass nur eine ungestörte Funktion aller den Organismus ernährenden und erhaltenden Kräfte den Rücken kräftig und flexibel erhalten kann. Diese ernährenden und erhaltenden Kräfte ordnet die Chinesische Medizin fünf Instanzen zu, die unser Inneres Milieu regulieren. Diese sind nach anatomischen Organen, nämlich Herz, Milz, Lunge, Nieren und Leber benannt, aber diese Zuordnung ist eher symbolischer Natur. Diese fünf Instanzen, in der Chinesischen Medizin Zangfu genannt, werden dort nämlich in erster Linie aufgrund der ihnen zugeordneten Funktionen beschrieben. Deshalb werden sie im Deutschen, um Missverständnissen vorzubeugen, meist als Organ-Funktionskreise bezeichnet. Im Grunde benutzt die Chinesische Medizin die Namen der Organe ähnlich bildhaft wie unsere Umgangssprache, die z.B. davon spricht, dass uns "eine Laus über die Leber gelaufen" ist und so eine Assoziation zwischen diesem Organ und einer ärgerlichen Gemütsverfassung herstellt, wie sie natürlich im medizinischen Sinne nicht existiert.

Auch in der Chinesischen Medizin ist die Leber für den freien Fluss der Gefühle verantwortlich und wenn dieser durch Verbote, Frustrationen und dergleichen gehemmt wird, entstehen Ärger und Zorn. Wenn dies in unangemessener Art und Weise bzw. im Übermaß geschieht, schädigen diese aggressiven Emotionen die übrigen Funktionen der Leber, so wie sie von der Chinesischen Medizin beschrieben werden.

Danach ist die Leber nämlich nicht nur für den freien Fluss der Gefühle sondern auch für den freien Fluss der gesamten Lebenskraft zuständig. Diese wird im Chinesischen Qi genannt und gilt als Ursprung und Ausdruck aller dynamischen Funktionen und Aktivitäten im Organismus. Das Qi ist zwar nicht mit den Methoden der westlichen Wissenschaften messbar, wird aber von der Chinesischen Medizin aufgrund seiner Wirkungen sehr genau und differenziert beschrieben.
Abgesehen davon, dass sie den Qi-Fluss fördert, speichert die Leber auch das Blut. Diesem "nährenden Saft" werden von den Chinesischen Medizinern ebenfalls mehr Funktionen zugeschrieben als von ihren westlichen Kollegen. So hilft es zum Beispiel dabei, die Bewegungen der Muskulatur harmonisch und ungehindert ablaufen zu lassen. Man könnte sagen, dass es Muskeln und Sehen ernährt und "schmiert".

Neben den inneren krankmachenden Einflüssen übermäßigen Ärgers gibt es auch einen bestimmten äußeren, klimatisch-atmosphärischen Einfluss, der im Übermaß besonders die Leber angreift, und das ist der Wind bzw. die Zugluft, von der wir ja wissen, dass sie leicht Steifigkeit und Verspannungen der Muskulatur hervorrufen kann.

In Bezug auf den Rücken können wir somit feststellen, dass die Leber vor allem die Funktion der dafür zuständigen Muskulatur sicherstellt und das Auftreten von Verspannungen, Krämpfen, Zittern und ähnlichen Störungen verhindert, die im Sinne der westlichen Medizin vor allem neurologischen Ursprungs sind. schadet Diese von der Leber beeinflussten Muskelfunktionen, die von der Chinesischen Medizin den Sehnen zugeschrieben werden, werden in diesem Modell vor allem durch übermäßige Bewegung geschädigt.

Die Fülle der Muskulatur, d.h. ein gut ausgeprägtes Muskelfleisch und dessen grobe Kraft werden von dem Organ-Funktionskreis Milz gewährleistet. Dieser regiert, anders als die Milz der westlichen Medizin, das gesamte Verdauungssystem und versorgt dementsprechend auch die Muskeln mit Nährstoffen und Energie. Wenn diese Funktionen beeinträchtigt sind, äußert sich dies auch in einer Schwäche der Rückenmuskulatur.

Eine gestörte Milzfunktion ist nach Auffassung der Chinesischen Medizin meist Folge einer ungesunden Ernährung, der Einwirkung eines besonders feuchten Klimas oder einer grüblerischen, besorgten Gemütsverfassung. Die Muskeln als der Milz zugeordnetes Gewebe werden auch durch zu langes Sitzen, d.h. Bewegungsmangel, geschwächt.

Wenn es um das Knochengerüst des Rückens geht, so sind dafür im Sinne der Chinesischen Medizin vor allem die Nieren zuständig. Unser Volksmund sagt, dass man, wenn einem "etwas an die Nieren geht", auf einer sehr tiefen Ebene betroffen ist. In ähnlicher Weise sind auch die Nieren in der Chinesischen Medizin verantwortlich für die ganz grundlegenden biologischen Prozesse in unserem Organismus, nämlich für seine Entwicklung, Reifung und Fortpflanzung. Sie bewahren unsere Erbinformationen und außerdem unsere Energiereserven in einer hoch verdichteten Form, die als Essenz bezeichnet wird.

Darüber hinaus sind die Nieren, ähnlich wie im Sinne der westlichen Medizin, für den Flüssigkeitshaushalt im Organismus verantwortlich. Sie verfügen über wärmende Kräfte – die Chinesische Medizin bezeichnet diese auch als das Yang der Nieren – mit deren Hilfe sie die Körperflüssigkeiten dynamisieren und bewegen. Diese Flüssigkeiten, die zusammen mit den strukturbildenden Einflüssen im Organismus als Yin bezeichnet werden, würden ohne die wärmende, verdampfende Kraft des Yang irgendwo im Körper liegen bleiben, die Gewebe durchtränken und z.B. Wasseransammlungen in den Beinen (d.h. Ödeme) bilden. Ohne die kühlende Kraft der Yin-Flüssigkeiten würde wiederum das Yang aus der Kontrolle geraten und quasi heißlaufen. Die Begriffe Yin und Yang werden also von der Chinesischen Medizin verwendet, um ein dynamisches Gleichgewicht zwischen Ruhe und Bewegung, Kälte und Wärme sowie zwischen Struktur und Aktivität zu beschreiben. Die Grundlage dieses dynamischen Gleichgewichts im Organismus wird von den Nieren gewährleistet, die deshalb auch in der Chinesischen Medizin als die "Wurzel des Yin und Yang des ganzen Körpers" bezeichnet werden.
Auch die Nieren können durch ein Übermaß einer bestimmten Emotion geschädigt werden und zwar ist dies die Furcht. Auch unser Volksmund spricht in diesem Zusammenhang davon, dass es einem eiskalt den Rücken herunter läuft. Nicht umsonst ist auch die Kälte der äußere klimatische Einfluss, der am gefährlichsten für die Nierenfunktion im Sinne der Chinesischen Medizin ist. Auch in unserem Kulturkreis wird ja großer Wert darauf gelegt, die Nierengegend und damit auch den unteren Rücken warm zu halten.

Aufgrund ihrer Verantwortlichkeit für die Knochen aber auch wegen ihrer anatomischen Nähe zur Lendenwirbelsäule wird den Nieren in der Chinesischen Medizin ein besonders großer, insbesondere nährender, Einfluss auf das Stützsystem des Rückens zugeschrieben. Zu langes Stehen, so sagt sie, kann dabei dem Knochengerüst schaden. Krankheiten, die mit Knochenschwund einhergehen, z.B. das westliche Krankheitsbild der Osteoporose, werden in der Chinesischen Medizin über den Organ-Funktionskreis Niere behandelt.
Die Organ-Funktionskreise Lunge und Herz haben nach chinesischer Auffassung mit dem Zustand des Rückens wenig zu tun.

 
2. Das Leitbahnsystem

Um seinen Einfluss auch auf die oberflächlicheren Strukturen des Organismus ausüben zu können, steht jeder Organfunktionskreis in Kontakt mit verschiedenen Abschnitten eines Geflechts von Leitbahnen und Vernetzungsgefäßen, die nach den Vorstellungen der Chinesischen Medizin unter der Haut und in der Muskulatur verlaufen und das Qi überall im Organismus verteilen. Diese, früher auch als Meridiane bezeichneten Transportwege, sind genauso wenig wie das Qi selbst sichtbar oder messbar. Wir können sie uns am besten ähnlich der Bahn der Erde um die Sonne vorstellen, die zwar auch nicht sichtbar, aber dennoch exakt bestimmbar ist.

Bis auf wenige Ausnahmen verlaufen die Leitbahnen symmetrisch in beiden Körperhälften. Der Rücken wird überwiegend von dem längsten Abschnitt dieses Systems versorgt, der so genannten Blasenleitbahn, die am inneren Augenwinkel beginnt, in zwei Ästen parallel zur Wirbelsäule nach unten verläuft, weiter über die Rückseite der Beine zieht und schließlich an der Kleinzehe endet. Diese Leitbahn steht mit dem Organfunktionskreis Blase und über diesen indirekt auch mit den Nieren in Beziehung.

Außerdem gibt es noch ein so genanntes Außerordentliches Gefäß, das Du Mai, häufig als Lenker-Gefäß übersetzt, das mittig über die Dornfortsätze der Wirbelsäule verläuft. Es hat seinen Ursprung ebenfalls in den Nieren und übt einen regulierenden Einfluss auf alle Yang-Leitbahnen aus.

Auf den Leitbahnen liegen nun jeweils eine Reihe von genau definierten Punkten, an denen der Qi-Fluss besonders leicht stagnieren kann, über die man aber auch umgekehrt durch therapeutische Eingriffe diesen Fluss beeinflussen und wieder normalisieren kann. Die Chinesische Medizin bezeichnet diese Punkte als "Löcher", weil sie von der Oberfläche her Zugang zu dem Leitbahnsystem erlauben und weil sie beim Betasten oft als kleine Vertiefungen spürbar sind.

Diese Punkte sind einerseits diagnostisch von Bedeutung, weil sich in ihnen der Zustand der zur entsprechenden Leitbahn zugehörigen Organ-Funktionskreise reflektieren kann. Bei Störungen dieser Instanzen werden die assoziierten Punkte oft druckschmerzhaft. Die Punkte der Blasenleitbahn sind in dieser Hinsicht besonders interessant. Einige in Höhe bestimmter Wirbelsegmente gelegene Punkte reflektieren nicht so sehr den Zustand des Blasen-Organ-Funktionskreises sondern vielmehr den eines jeweils anderen, meist etwa in Höhe des entsprechenden Segments gelegenen Organ-Funktionskreises. So gibt es zwischen den Schulterblättern assoziierte Punkte für die Lunge und das Herz, im Bereich der unteren Brustwirbelsäule für die Leber und die Milz sowie neben der Lendenwirbelsäule für die Nieren. Diese von der Chinesischen Medizin gefundene enge Beziehung zwischen dem Rücken und den Organ-Funktionskreisen entspricht der Erkenntnis der westlichen Medizin, dass die Innervation der inneren Organe in erster Linie über in und neben der Wirbelsäule verlaufende Nervenbahnen geschieht.

Wichtiger noch als die diagnostische Bedeutung der Leitbahnpunkte ist die Möglichkeit, über ihre Manipulation einen regulierenden Einfluss auf den Qi-Fluss in der entsprechenden Leitbahn und die Funktion des zugehörigen Organ-Funktionskreises auszuüben. Ursprünglich geschah dies wahrscheinlich durch Fingerdruck, woraus sich Behandlungsmethoden entwickelt haben, die heute unter dem Begriff Akupressur zusammengefasst werden. Später wurden dann zur Punktbehandlung auch Nadeln, d.h. Akupunktur und das Abbrennen von Beifußkraut, das so genannte Moxa verwendet. Über die den Organ-Funktionskreisen assoziierten Rückenpunkte lässt sich so ein therapeutischer Einfluss auf das innere Milieu des ganzen Organismus ausüben.


 
3. Der Schmerz in der Chinesischen Medizin

Wenn es nun um Probleme mit dem Rücken selbst geht, so unterscheidet die Chinesische Medizin Schmerzen und Verspannungen auf der einen Seite von Schwäche der Muskeln bzw. Knochen auf der anderen Seite. Derartige Schwächezustände führt die Chinesische Medizin auf eine unzureichende Funktion der die Muskeln und Knochen ernährenden Organ-Funktionskreise zurück, d. h. auf eine so genannte "Leere" der Leber und der Nieren.

Was die Schmerzen angeht, so lautet die grundlegende Aussage der Chinesischen Medizin dazu wie folgt: "Wo kein freier Durchfluss ist, ist Schmerz, wo freier Durchfluss ist, ist kein Schmerz." Mit anderen Worten: Schmerz ist hier die gefühlte Wahrnehmung einer gestörten Zirkulation von Qi und Blut durch die Leitbahnen und Gefäße. Diese Störung des Qi- und Blutflusses kann zwei Ursachen haben. Die erste ist die Anwesenheit eines blockierenden Einflusses im Leitbahn- und Gefäßsystem. Ins Bildhafte übersetzt könnten wie uns vorstellen, dass das in einem Bachlauf fließende Wasser durch einen umgestürzten Baum aufgestaut wird.

Der freie Fluss in den Leitbahnen und Gefäßen kann aber auch dadurch zum Erliegen kommen, dass nicht genug Qi und Blut vorhanden ist, um deren ausreichende Füllung zu gewährleisten. In unserem Beispiel würde der Bach mangels Wasser langsam austrocknen, so dass er letzten Endes nur noch aus einer unzusammenhängenden Kette von Pfützen besteht.


 

4. Die chinesische Diagnostik

Wenn ein Patient sich also über Rückenschmerzen beklagt, ist der Praktiker der Chinesischen Medizin aufgefordert, mit Hilfe der ihm zur Verfügung stehenden diagnostischen Methoden die Ursache dieser Schmerzen herauszufinden. Klassischerweise stehen ihm dazu das Betrachten, das Hören bzw. Abhorchen, das Befragen und das Betasten des Patienten zur Verfügung. Klagt der Patient z. B. bei der Befragung über wandernde, katerartige, drückende Schmerzen, die mal mehr, mal weniger stark sind, gilt dies als sicherer Hinweis auf eine Stagnation des Qi. Ein weiterer wichtiger Hinweis ist in diesem Zusammenhang die Abhängigkeit der Schmerzstärke von emotionalen Faktoren. So werden Qi-Stagnations-Schmerzen häufig durch Stress verschlimmert. Da das Qi nicht sehr substantiell ist, sind solche Störungen in der Regel leichter zu behandeln als die Fälle, in denen nach Auffassung der Chinesischen Medizin der Fluss des Blutes in den Gefäßen blockiert ist. Typische Symptome dafür sind stechende, ortsfeste Schmerzen von konstanter Intensität. Wenn die Schmerzen durch einen Mangel an Qi bzw. Blut entstanden sind, sind sie meist weniger heftig aber dafür länger andauernd mit einer Tendenz zur Chronizität. Sie werden oft besser durch leichte Bewegung, weil dadurch der Fluss von Qi und Blut angeregt wird. Wenn dagegen durch stärkere Belastungen viel Qi und Blut verbraucht werden, verschlimmern sich diese so genannten Leere-Schmerzen. Dies ist meist besonders gegen Abend der Fall.

Bei der Tastdiagnose finden sich im Falle einer Blut-Stase häufig Verhärtungen. Hier und auch bei der klassischen Qi-Stagnation werden die Schmerzen durch Druck verschlimmert, ein typisches Zeichen für derartige Fülle-Schmerzen. Leere-Schmerzen hingegen werden durch Druck oft gebessert.

Wichtiger noch als die Betastung der Schmerzareale ist für die Chinesische Medizin die Tastuntersuchung der Handgelenkspulse. Da ihr die apparativen Möglichkeiten fehlten um den Zustand der inneren Organe zu erfassen, hat sie diese Diagnosemethode viel weiter entwickelt als die westliche Medizin. Sie unterscheidet nicht nur sechs verschiedene Taststellen an beiden Handgelenken sondern auch noch 26 verschiedene Pulsqualitäten. Qi-Stagnations-Schmerzen reflektieren sich oft in einem Puls, der sich so gespannt anfühlt wie die Saite eines Musikinstruments, während sich bei einer Blut-Stase oft ein rauer Puls findet, der sich anfühlt, als ob man mit einem Messer an einem Bambusstamm entlang schabt.

Beider Diagnose durch Betrachten achtet der chinesische Arzt zunächst auf dieselben Aspekte, wie sein westlicher Kollege, also Veränderungen von Form und Farbe bestimmter Körperteile. Eine Besonderheit ist aber, dass er sich auch sehr genau die Zunge des Patienten anschaut. Ähnlich wie der Puls gibt sie ihm Aufschluss darüber, was sich in den inneren Körperregionen abspielt. Eine rote Zunge zeigt zum Beispiel an, dass sich der Organismus in einem Zustand von Hitze befindet. Dies kann bedeuten, dass die Körpertemperatur erhöht ist, eine Überaktivität bestimmter Körperfunktionen vorliegt oder dass eine Entzündungsreaktion stattfindet. Eine blasse Zunge wird dementsprechend als Zeichen für Kälte gedeutet, die entweder von außen in den Organismus eingedrungen ist oder das Ergebnis eines Mangels an inneren wärmenden Kräften ist, also einer Leere des Yang. In beiden Fällen kommt es häufig zu Rückenschmerzen, die im ersten Fall eher akut und heftig, im zweiten Fall eher weniger stark aber dafür meist chronisch sind.

Die vierte Diagnostische Methode, das (Ab-)Hören und Riechen spielt bei der Untersuchung von Rückenschmerzen keine Rolle.

 

5. Die Krankheitsursachen

Wodurch kommt es nun nach Auffassung der Chinesischen Medizin zu diesen Schmerz-Szenarien? Als erstes nennt sie die so genannten Äußeren Krankheits-ursachen. Dabei handelt es sich um die oben schon erwähnten klimatisch-atmosphärischen Einflüsse. Wenn diese besonders stark ausgeprägt oder die Abwehrkräfte des Organismus geschwächt sind, können diese Einflüsse in den Körper eindringen und auf unterschiedliche Art und Weise Schaden anrichten. Wenn nun von außen Wind, Kälte oder Feuchtigkeit in das System der Leitbahnen und Vernetzungsgefäße gelangen, können sie dort den freien Fluss von Qi und Blut blockieren und so für den verursachenden Faktor charakteristische Schmerzen auslösen. Das Eindringen von Wind hat typischerweise wandernde Schmerzen zur Folge, die vor allem in der oberen Körperhälfte lokalisiert sind, welche ja auch besonders dem Angriff von Wind und Zugluft ausgesetzt ist. Die schwere, träge Feuchtigkeit dringt, wie z.B. bei den im Wasser stehenden chinesischen Reisbauern, von unten in den Körper ein und verursacht besonders hartnäckige, ortsfeste Schmerzen, die von einem Schweregefühl begleitet sind. Kälte führt durch ihre zusammenziehende Wirkung oft zu besonders starken Blockaden von Qi und Blut und damit auch zu besonders ausgeprägten, stechenden Schmerzen. Diese sind meist auch ortsfest und von Steifigkeit und Bewegungseinschränkungen begleitet.

Die genannten Klimaeinflüsse können sowohl akute, als auch chronische Schmerzen verursachen. Wenn sie sich miteinander verbinden und im Leitbahnsystem richtig festsetzen, sind sie von dort meist nur noch sehr schwer zu vertreiben. Diesen Zustand nennt die Chinesische Medizin bi, was man mit schmerzhafter Blockade übersetzen kann. Dieses Störungsbild entspricht in etwa dem, was in unserem Kulturkreis klassischerweise unter "Rheuma" verstanden wird.

Rückenschmerzen aufgrund von klimatischen Einflüssen treten also entweder dann auf, wenn der Organismus Feuchtigkeit, Kälte und/oder Wind in großem Ausmaß bzw. über längere Zeit ausgesetzt ist, oder wenn das den Körper vor solchen Einwirkungen schützende Abwehr-Qi geschwächt ist. Wenn wir also zu viel Qi bei unseren diversen Aktivitäten verbrauchen oder Milz und Lunge uns nicht ausreichend mit neuem Qi aus Nahrung und Luft versorgen, sind wir besonders anfällig für von außen eindringende Krankheitseinflüsse.

Schmerzen im oberen Rücken mit wechselnder Lokalisation werden also meist durch Wind-Einflüsse, eher ortsfeste Schmerzen im unteren Rücken dagegen eher durch Feuchtigkeits-Einflüsse verursacht. Der wichtigste, den Rücken schädigende Witterungseinfluss ist die Kälte, da sie nicht nur die Leitbahnen blockieren, sondern auch direkt "an die Nieren gehen" kann und damit den Organ-Funktionskreis schädigt, der in besonderem Maße für den Rücken verantwortlich ist.

Eine besondere Situation tritt ein, wenn schädigende Einflüsse im Körper über längere Zeit stagnieren und dadurch quasi unter Druck geraten. Es ist eine physikalische Gesetzmäßigkeit, dass eine Druckerhöhung Wärme erzeugt und dieser Vorgang wird auch von der Chinesischen Medizin beschrieben. In solchen Situationen verändert sich die ursprüngliche Symptomatik und es treten Rötung, Schwellung, Überwärmung und brennende Schmerzen auf. Es heißt dann, dass Wind, Kälte und oder Feuchtigkeit sich in Hitze umgewandelt haben. Im Sinne der westlichen Medizin entspricht dies dem Bild einer akuten Entzündung, die im Bereich des Rückens hauptsächlich die kleinen Wirbelgelenke betrifft.

Als Innere Krankheitsursachen gelten in der Chinesischen Medizin extreme oder sonst wie unangemessene Emotionen, die, wie bereits oben erwähnt, direkt jeweils einen spezifischen Organ-Funktionskreis schädigen. So belastet eine sehr zornig-ärgerliche Gemütsverfassung die Leber und führt im Bereich des Rückens vor allem zu muskulären Verspannungen. Furcht hingegen schwächt die Nieren und führt zu einem Gefühl, als ob es einem "eiskalt den Rücken herunter läuft". Das bedeutet, dass dieses Gefühl auf die Dauer die Stabilität des Rückens beeinträchtigt. Umgekehrt führt eine Schwächung des Organ-Funktionskreises Niere aus anderen Gründen auch zu mangelndem Rückhalt oder Rückgrat, d.h. die betroffene Person wird sich deutlich schneller fürchten und vor Herausforderungen und Gefahren zurückweichen als andere.

Unter der Gruppe der Sonstigen Krankheitsursachen fasst die Chinesische Medizin eine recht heterogene Gruppe von schädigenden Einflüssen zusammen, von denen für das Verständnis von Rückenschmerzen vor allem die Kategorie der Verletzungen bzw. Traumata wichtig ist. Solche Traumata können den Rücken sowohl in akuter Form – z.B. in Form von Verheben – als auch in Form von wiederholten Mikroverletzungen bei chronischer Überlastung schädigen. In allen Fällen kommt es im Sinne der chinesischen Medizin zu einer Schädigung der Leitbahnen und Vernetzungsgefäße und meist auch der Blutgefäße. Die Folge ist immer eine lokale Blockade des Qi- und Blutflusses mit den dadurch bedingten Schmerzen. Gestautes Qi kann sich, wie oben beschrieben, auch "aufheizen", was örtlich begrenzte Rötung, Schwellung und Überwärmung zur Folge hat. Von dia-gnostischer Bedeutung ist auch die Eindringtiefe der traumatischen Einwirkung. Für die Prognose und die Art der Behandlung macht es natürlich einen Unterschied, ob nur die Muskelebene, die Ebene der Sehnen und Bänder oder auch die Ebene der Knochen und evtl. des Rückenmarks betroffen ist. Zur Förderung der Heilung werden dabei die den verletzen Gewebsschichten zugeordneten Organ-Funktionskreise gestärkt. Die adäquate Behandlung von Verletzungen ist nicht zuletzt auch deswegen wichtig, weil sich in den geschädigten Geweben sonst leicht Äußere Krankheitseinflüsse festsetzen können mit der Möglichkeit, dass sich eine chronische schmerzhafte Blockade mit rheumaartigen Schmerzen entwickelt. In solchen Fällen findet man dann ab einem bestimmten Punkt in der Krankheitsentwicklung oft eine deutliche Witterungsabhängigkeit der Schmerzen.

Weitere "Sonstige" Krankheitsursachen sind Ernährungsfehler und Erschöpfungszustände. Wie bereits erwähnt, kann eine unangemessene Ernährung, die Milz schädigen und zur Bildung von Stoffwechselschlacken führen. Diese werden in der Chinesischen Medizin als Innere Feuchtigkeit bezeichnet und können, wenn sie sich im Bereich von Muskeln, Knochen und Gelenken ansammeln, die gleichen Schmerzen hervorrufen, wie sie bereits für die Äußere Feuchtigkeit beschrieben worden sind. Als potentiell Milz-schädigende Nahrungsmittel gelten insbesondere Süßigkeiten, fette Speisen, Rohkost, sowie gekühlten Speisen und Getränken. In welcher Menge diese Nahrungsmittel schädlich sind, hängt von der aktuellen Stärke der Verdauungskräfte eines jeden Individuums ab. Die Folge von Fehlernährung für den Rücken kann neben den erwähnten Feuchtigkeitsschmerzen auch eine zunehmende Schwäche aufgrund von mangelhafter Ernährung der Muskulatur durch die Milz sein.

Erschöpfung unterscheidet sich von einfacher Ermüdung dadurch, dass sie sich nicht durch angemessene Erholungsphasen wie Nachtruhe oder arbeitsfreie Tage beseitigen lässt, sondern mit einem zunehmenden Defizit auf unserem "Energiekonto" verglichen werden kann. Die Kraftreserven, die normalerweise in den Nieren in verdichteter Form gespeichert und bei Bedarf als Yang-Aktivität mobilisiert werden, sind in solchen Fällen weitgehend aufgebraucht. Weitere Belastungen gehen dann zunehmend an die "Substanz" und dieser Vorgang entspricht im Sinne der Chinesischen Medizin einer Schwächung des Yin der Nieren. Ein geschwächter Nieren-Organfunktionskreis kann insbesondere den Rücken nicht mehr angemessen versorgen, so dass chronische, bei Belastung zunehmende Rückenschmerzen ein wichtiges Zeichen eines solchen Erschöpfungszustandes sind.

 

6. Die Musterdifferenzierung

Wie aus dem oben gesagten deutlich wird, sieht die Chinesische Medizin den Rücken immer im größeren Zusammenhang des gesamten Organismus und berücksichtigt dabei alle wichtigen körperlichen und seelischen Prozesse. Dieser Zusammenhang wird auf einer allgemeinen Ebene durch die Einflussfaktoren Yin, Yang, Qi und Blut beschrieben, die ja im ganzen Menschen wirksam sind und ihn auf allen Ebenen gleichzeitig beeinflussen. Im Detail werden die Beziehungen zwischen den verschiedenen Teilen des Gesamtorganismus auf einer tiefen Ebene durch die Interaktionen der Organ-Funktionskreise und mehr oberflächlich durch das System der Leitbahnen und Vernetzungsgefäße vermittelt.

Wenn also ein äußerer, innerer oder sonstiger Störeinfluss dieses geregelte Miteinander durcheinander bringt, wird das zu Störungen in ganz unterschiedlichen Funktionsbereichen des Organismus führen. So äußert sich zum Beispiel eine Schwächung des Nieren-Yang aufgrund einer fortdauernden Überlastung sowohl in einer ausgeprägten Kälteempfindlichkeit als auch in sexueller Schwäche, weil das Yang der Nieren sowohl für die Erwärmung des Organismus als auch für dessen Fortpflanzungsaktivitäten verantwortlich ist. Außerdem können, wie oben geschildert, Störungen des Wasserhaushalts mit Bildung von Ödemen auftreten und die betroffene Person erscheint auf der psychischen Ebene oft zunehmend furchtsam. Nicht zuletzt beklagt sie sich meist über eine zunehmende schmerzhafte Schwäche des Rückens. All diese Symptome, die in der westlichen Medizin sicherlich als Ausdruck von mindestens vier verschiedenen Krankheiten angesehen und dementsprechend unterschiedlich behandelt würden, gelten in der Chinesischen Medizin als eine Einheit, die eine bestimmte Ursache hat für deren Behandlung eine bestimmte Therapiestrategie erforderlich ist.

Ein solches Bündel von Symptomen, die im Sinne der westlichen Medizin nicht einer einzigen Krankheit zugeordnet werden können, die aber in regelhafter Weise zusammen auftreten und durch eine spezifische Therapiestrategie auch wieder gemeinsam zum Abklingen gebracht werden können, wird in der Chinesischen Medizin als Manifestationsmuster (oder auch als "Syndrommuster") bezeichnet. Es ist diese Art von Krankheitsverständnis, die den Kern des Unterschieds zwischen Chinesischer und westlicher Medizin ausmacht und aufgrund derer man die Chinesische Medizin mit Fug und Recht als Ganzheitsmedizin bezeichnen kann. Sie hat, wie oben dargelegt, zur Folge, dass mehrere im westlichen Sinne verschiedene Krankheiten in der Chinesischen Medizin mit derselben therapeutischen Intervention behandelt werden können, dass aber auch umgekehrt ein einziges Leitsymptom, das in der westlichen Medizin einer ganz bestimmten Krankheit zugeordnet und einheitlich behandelt wird, in der Chinesischen Medizin Teil von ganz unter-schiedlichen Manifestationsmustern sein kann und dementsprechend unterschiedlich behandelt werden muss.

So ist auch das Leitsymptom Rückenschmerz Bestandteil vieler unterschiedlicher Manifestationsmuster, deren genauere Beschreibung den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde. Viele davon lassen sich aber in etwa aus den in diesem Artikel vermittelten Informationen ableiten. Um dies noch etwas mehr zu verdeutlichen, seien zumindest noch einige typische Manifestationsmuster-Differentialdiagnosen von Rückenschmerzen erwähnt.

Eindringen von Äußerem Wind und Äußerer Kälte

Die Rückenschmerzen werden durch Kälte- und Zuglufteinfluss ausgelöst und verschlimmert. Sie haben einen scharfen, stechenden Charakter, können wandern und treten vor allem im oberen Rücken auf, der sich dann oft sehr steif anfühlt. Sie werden meist durch Wärmeanwendung gebessert. Häufig bestehen gleichzeitig auch Erkältungssymptome.

Eindringen von Äußerer Feuchtigkeit und Äußerer Kälte

Die Rückenschmerzen werden durch Kälte- und Feuchtigkeitseinfluss, insbesondere durch nasskaltes Wetter ausgelöst und verschlimmert. Sie haben einen dumpfen, ziehenden Charakter. Oft werden sie als tief liegend, ortsfest und hartnäckig beschrieben und von einem Schweregefühl begleitet. Sie treten vor allem im unteren Rücken auf, der dann in der Vorwärts- und Rückwärtsbeugung eingeschränkt ist. Die Schmerzen werden durch Wärmeanwendung gebessert.

Stagnation des Qi und Stase des Blutes

Die Schmerzen treten in der Regel nach Verletzungen bzw. Verrenkungen des Rückens auf, sind oft sehr stark und haben einen stechenden Charakter ("Hexenschuss"). Sie sind begleitet von starken Verspannungen im Schmerzbereich und werden oft durch Druck oder während der Nachtruhe verschlimmert.

Leere des Milz-Qi

Die Schmerzen sind meist chronisch, nicht sehr stark und von eher dumpfer Qualität. Sie betreffen meist den ganzen Rücken, werden verschlimmert durch Anstrengung und gebessert durch Ruhe. Begleitet werden sie von allgemeiner Müdigkeit, Blässe, Appetitlosigkeit, breiigem Stuhlgang und Schwitzen bei geringsten Anstrengungen. Die Patienten sind oft grüblerisch veranlagt, bewegen sich wenig und bevorzugen Süßigkeiten.

Obstruktion und Verknotung des Leber-Qi

Die Rückenschmerzen sind oft nicht andauernd sondern setzen zeitweise aus und werden meist durch seelische Faktoren, besonders durch Unterdrückung ärgerlich-zorniger Gefühle ausgelöst. Sie fühlen sich an, als ob ein Druck von innen nach außen bestände und werden oft von ähnlichen Schmerzen am Rippenbogen begleitet. Begleitsymptome sind oft eine unterschwellige Reizbarkeit, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Reizmagen- oder Reizdarmbeschwerden und bei Frauen Schmerzen und Verspannungen in Zusammenhang mit der Regelblutung.

Nieren-Yang-Leere

Die Symptomatik dieses Manifestationsmusters wurde bereits weiter oben geschildert.

Nieren-Yin-Leere

Sehr chronische Rückenschmerzen, die meist schleichend beginnen, nicht selten nach einer längeren zehrenden Erkrankung oder anderen Lebenssituationen, die "an die Substanz gegangen" sind. Sie werden oft von Zeichen einer tiefgehenden Erschöpfung wie Ohrgeräuschen, chronischem Schwindel, Gedächtnisstörungen und Unfruchtbarkeit begleitet. Gleichzeitig bestehen aber auch aufgrund des Mangels an kühlenden, beruhigenden Yin-Einflüssen Nervosität, Schlaflosigkeit, Hitzegefühle und Schleimhauttrockenheit.

 

7. Therapiemethoden zur Behandlung von Rückenschmerzen

Zur Therapie von Rückenproblemen kommt das gesamte Methodenarsenal der Chinesischen Medizin zum Einsatz, also Akupunktur und Moxibustion, Akupressur bzw. Tuina, Arzneitherapie, Ernährungstherapie, Tai Ji und Qi Gong. Dabei ist die Akupunktur besonders bei akuten Schmerzen wirksam, sowie bei Störungen, die auf das Leitbahnsystem beschränkt sind. Wenn dabei noch Kälteeinflüsse im Spiel sind, wird zusätzlich noch eine so genannte Moxibustion durchgeführt. Dabei wird getrocknetes Beifußkraut über einem Akupunkturpunkt verbrannt, so dass die Wärme über den Punkt in das Leitbahnsystem und weiter in das Körperinnere eindringen kann. Chronische Störungen, insbesondere, wenn sie mit Schwächezuständen einher gehen, sind die Domäne der Chinesischen Arzneitherapie, d.h. die Patienten trinken, meist über eine längere Zeit, eine Abkochung aus chinesischen Heilpflanzen und anderen Arzneisubstanzen. Wenn die Manifestationsmusterdiagnose eine Störung der Milz ergibt, empfiehlt sich in aller Regel eine Ernährungsberatung und wenn bei einer chronischen Störung die Eigenaktivität der betroffenen Person angeregt werden soll, sind Tai Ji oder Qi Gong sehr geeignete Übungsmethoden.

 
8. Zusammenfassung

Die Chinesische Medizin ist der Ansicht, dass eine gesunde Ernährung, ausreichende Bewegung – zum Beispiel in Form von Tai Ji und Qi Gong - und die Vermeidung von andauernden Überlastungen Kraft und Beweglichkeit des Rückens bis ins hohe Alter gewährleisten können.

Störungen des organismischen Gleichgewichts mit Schwächezuständen, Schmerzen und/oder Bewegungseinschränkungen des Rückens kann die Chinesische Medizin mit ihrem sensiblen diagnostischen Instrumentarium sehr differenziert beschreiben und mit Akupunktur, Akupressur und Chinesischer Arzneitherapie entsprechend individualisiert und effektiv behandeln.


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